Angekommen gegen 11.00 auf dem Campingplatz "La Pature" in Yport am 13.7., Womo eingeparkt und ausgerichtet nach Wasserwaage und Meerblick, mit Strom zum Leben erweckt, die kommende Gemütlichkeit mit Campingstühlen und Tisch vorbereitet, und dann der Schreck: beim Versuch, die Heckklappe wieder zu schließen, die sich immer sperrt, weil sie schon zum einfachen Schließen den Schlüssel braucht, verbiegt sich der Schlüssel in einem fast perfekten 45°-Winkel. Der Versuch, ihn vorsichtig wieder auf Kurs zu bringen, bringt letztendlich nur zwei halbe statt einem ganzen Schlüssel. Tolle Situation: Heckklappe offen, Gasklappe, Klofach und Frischwasserzulauf zu, der Reserveschlüssel zu Hause in der Schublade und am nächsten Tag französischer Nationalfeiertag. Was heißt Schlüsseldienst auf französisch?
Der freundliche Maître des Campingplatzes weist uns mit Händen und Füßen und Stadtplan den Weg zu einem Marché du Clé in Fécamp. Zum Glück fährt unser Ducato mit einem eigenen Schlüssel, der deutlich stabiler ist...
Also zurück in dieses quirlige kleine Städtchen mit dem schönen Womostellplatz direkt am Hafen, der uns allerdings gar nichts nützt, da wir ins Zentrum am anderen Ende des doch gar nicht so kleinen Ortes müssen. Zum Glück gibt es Carrefour mit großem Parkplatz. Wir versprechen symbolisch, danach hier noch einzukaufen und steuern den versprochenen Schlüsselladen an. Einmal über den großen Platz, Blick auf das Kino, einmal um den Ladenblock herum und tatsächlich - ein Schaufenster mit vielen Schlüsseln und Schlössern und in der Tür ein großes Schild "Je suis en vacances de 1 à 31 juillet".
Inzwischen ist es 12.30 und die Nerven liegen blank. In unserer Verzweiflung wenden wir uns mit geringen Sprachkenntnissen und dem gebrochenen Schlüssel an zwei Franzosen, die vor dem Laden stehen. Es folgt eine Diskussion, aus der wir die Worte "Carrefour", "Hypermarché" und "Clé minute" verstehen, am Ende fällt den beiden aber kein Supermarkt ein, in dem die französische Entsprechung von "Mister Minute" residiert. Sie weisen uns jedoch den Weg zur Mairie, dort könne uns geholfen werden.
Etwas verwundert - warum sollte der Bürgermeister einen neuen Schlüssel für uns haben? - machen wir uns auf den Weg zum Bürgermeisteramt, wo tatsächlich ein Schild mit "poste d'information" winkt. Information ist immer gut, wir versuchen also hier unser Glück und finden zwei nette Frauen hinter einem Tresen, die uns zwar auch nicht weiterhelfen können, aber im Besitz eines Branchenverzeichnisses sowie eines Internetanschlusses sind.
"Google" heißt auch auf Französisch "Google" und so wird ein Hersteller von Pickup-Aufbauten ausgeforscht und auch gleich angerufen. Man glaubt zwar nicht, daß man da unser Schlüsselproblem lösen kann, wir sollen aber kommen. Wir bekommen eine Adresse am Rand von Fécamp und eine handgezeichnete Skizze mit nie gehörten Ortsnamen, 9 Kreisverkehren und dem Hinweis auf Euro-Paletten.
Der Einkauf bei Carrefour muß warten, wir machen uns auf in Richtung Valmont, da der Logik nach die "Route de Valmont" dahin führen sollte. Die 9 Kreisverkehre sind kein hilfreicher Hinweis, "rond-points" gibt es in Frankreich so zahlreich wie Strommasten. Als wir das Stadtgebiet bereits weit hinter uns gelassen haben und kurz davor sind aufzugeben, finden wir tatsächlich eine Fabrikshalle mit einem Meer von Europaletten davor. Einmal rund um die Halle, an den Paletten vorbei kommt uns eine winkende Frau entgegen, wir verstehen "téléphoner" und "Mairie" und "Clé", wir sind richtig.
Ein junges Pärchen bastelt hier in der Mitte von nirgendewo tatsächlich Pickups von der edelsten Sorte, der Mann bringt einen Schuhkarton voll Aufbau-Schlüsseln, leider paßt keiner. Wäre ja auch zu schön gewesen. Die Frau bietet uns Mittagessen an, es ist inzwischen 13.30, sie hat verstanden, daß wir nicht kochen können, für Franzosen eine unvorstellbare Situation. Wir lehnen dankend ab, wir wollen nur unseren Schlüssel.
Zwischendurch spielen wir Urlaubsszenarien ohne diesen Schlüssel durch: Klo nicht benutzen, nur noch grillen oder kalt essen, Frischwasser durch das Fenster einfüllen, Pulverkaffee mit kaltem Wasser... Was ist am schlimmsten?
Währenddessen versucht der junge Mann, das Scharnier des Gaskastens auseinanderzunehmen, uns ist inzwischen alles egal. Doch Bürstner baut gut, so einfach geht das nicht, das Scharnier läßt sich nicht ohne bleibenden Schaden zerlegen. Der Azubi kommt aus der Mittagspause zurück und wird in die Problematik eingewiesen. Der Mann ist klein und dick und gut informiert, er weiß einen Supermarkt mit "Clé minute". Der Carrefour in Gruchet le Valasse, gleich hinter Bolbec, nur 20km und auf unserer Karte zu finden. Auch den Kaffee schlagen wir aus und machen uns mit den besten Wünschen aller Beteiligten wieder auf den Weg.
Diese französischen Bundesstrassen - gerade wie mit dem Lineal gezogen schneiden sie quer durch das hügelige normannische Hinterland. Nach ungefähr 45 solcher Hügelchen überqueren wir die Autobahn, finden Bolbec, finden Gruchet le Valasse und finden den Carrefour. Der Sprit ist billig wie nirgendwo, und Mister Minute braucht 90 Sekunden, um nach dem Vorbild unserer zwei traurigen Hälften einen neuen Schlüssel zu schleifen. 6 Euro will er dafür haben, die zahlen wir inzwischen gerne, haben wir doch schon mit den Ausgaben für neue Schlösser, neue Aufbautüren und für ein neues Wohnmobil gerechnet.
Zurück zum Wohnmobil, er paßt an allen Schlössern, außer am Deckel für den Frischwasserzulauf. Damit können wir leben. Wir kaufen noch einen Schlüssel bei dem netten Herrn, seither schwärme ich für magere kleine Kerle mit Schnurrbart und ungewaschenem Haar.
Da wir versprochen hatten, bei Carrefour einzukaufen, tun wir dies ausgiebig, decken uns mit rotem Wein und weichem Käse ein, auch das Wohnmobil bekommt sein Futter.
Um 15.30 sind wir zurück am Campingplatz, Womo eingeparkt und ausgerichtet nach Wasserwaage und Meerblick, mit Strom zum Leben erweckt, Gashahn aufgedreht und Kaffee gekocht - heiß und gefiltert!
Nach einem Tropfen WD40 klappt das auch mit dem Frischwasserdeckel, es wurde noch ein toller Urlaub. Der Reserveschlüssel ist jetzt immer dabei, der nachgemachte aus Gruchet le Valasse sieht stabiler aus als der originale von Bürstner. Wie kann man auch einen Schlüssel aus Messing machen? Fehlt noch die Reparatur der sperrigen Schlösser an der Heckklappe, aber das ist eine andere Geschichte ;-)